Konfliktsucht ist ein Phänomen, das Berater*innen bzw. Therapeut*innen bei Menschen beobachten, und das sich in wiederholenden und oft destruktiven Konfliktmustern zeigt. Konflikte gehören zum sozialen Leben. Doch bei konfliktsüchtigen Menschen nehmen sie eine zentrale Rolle ein und werden oft auch in Situationen gesucht, die dies gar nicht erfordern. In diesem Artikel soll näher beleuchtet werden, was konfliktsüchtiges Verhalten ist und wie es Betroffenen (und deren Umfeld) schadet. Welche Funktion hat es für Menschen und wie kann ihnen geholfen werden, neue Einsichten und Verhaltensweisen zu entwickeln?
Was bedeutet Konfliktsucht?
Konfliktsucht beschreibt das Verhalten von Personen, die bewusst oder unbewusst ständig Konflikte herbeiführen oder verstärken. Sie haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Auseinandersetzung und suchen aktiv Konfrontationen. Auch in Situationen, die durch kooperatives Verhalten einfach gelöst werden könnten. Diese Menschen reagieren oft impulsiv und scheuen selten vor aggressivem oder passiv-aggressivem Verhalten zurück. Konfliktsucht kann dabei viele Formen annehmen: von ständigen Auseinandersetzungen mit Kollegen und Freunden bis hin zu familiären Streitereien oder endlosen Debatten. Den Beteiligten stellt sich dabei manchmal auch die Frage, ob es um die Lösung des Konfliktes oder um das Beibehalten der Auseinandersetzung geht.
Psychodynamik der Konfliktsucht
Im Kern erleben sich konfliktsüchtige Menschen oft als Getriebene ihrer Emotionen. Ihre Identität und ihr Selbstwertgefühl sind eng mit der Rolle des „Kämpfers“ verknüpft. Sie sehen die Welt in starren Kategorien, wie Gewinner und Verlierer, und gehen davon aus, dass sie selbst stark sein müssen, um nicht unterlegen zu sein. Diese Personen empfinden Konflikte als Möglichkeit, sich selbst zu bestätigen und ihre eigene Stärke zu beweisen. Oft jedoch ohne Rücksicht auf die sozialen oder emotionalen Konsequenzen für sich und andere.
Beispiel für konfliktsüchtiges Verhalten
Ein typisches Beispiel für konfliktsüchtiges Verhalten wäre ein Mitarbeiter, der in einer Besprechung stets Einwände gegen die Vorschläge seiner Kollegen erhebt, selbst wenn er keine alternative Lösung anbietet. Dieser Mitarbeiter sucht nicht nach einer echten Problemlösung, sondern will die Diskussion dominieren und sich durch seine Kritik profilieren. Seine häufige Konfrontationshaltung führt dazu, dass er von Kollegen als schwierig oder „störend“ wahrgenommen wird, was oft Spannungen und negative Stimmungen im Team auslöst.
Selbstschädigendes Verhalten und die Folgen für Betroffene
Obwohl konfliktsüchtige Menschen ihre Konflikte oft als Stärke oder Ausdruck von Selbstbehauptung empfinden, verursacht dieses Verhalten langfristig erheblichen Schaden. Häufig isolieren sich Betroffene zunehmend, da Freunde, Kollegen und Familienmitglieder irgendwann genug von den ständigen Auseinandersetzungen haben. Beziehungen, die ursprünglich unterstützend und positiv waren, werden durch die anhaltende Konfrontationshaltung belastet und enden nicht selten in Entfremdung oder gar im Abbruch des Kontakts. Auch beruflich kann konfliktsüchtiges Verhalten hinderlich sein: Menschen, die ständig Streit suchen, gelten oft als schwierig und geraten häufig in Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten oder Kollegen. Die Konfliktsucht führt damit nicht nur zu sozialem Rückzug und Isolation, sondern kann auch zu finanziellen Einbußen und Karriererückschlägen führen. Für die Betroffenen ist dies besonders schmerzhaft, da sie trotz ihres „starken“ Auftretens und ihrer Behauptung der Kontrolle letztlich das Gegenteil erreichen: Sie verlieren soziale Bindungen, Arbeitschancen und die emotionale Unterstützung, die ihnen langfristig guttun könnte.
Die Funktion von Konfliktsucht für Betroffene
Konfliktsüchtiges Verhalten erfüllt für die Betroffenen bestimmte Funktionen. Häufig suchen sie Anerkennung und Bestätigung, indem sie sich als unnachgiebig und stark darstellen. Für viele ist der Konflikt eine Möglichkeit, emotionale Spannungen abzubauen oder unangenehme Gefühle wie Einsamkeit, Unzulänglichkeit oder Unsicherheit zu verdrängen. Die Konflikte lenken sie von inneren Konflikten ab, die sie vielleicht nur schwer aushalten oder verarbeiten können. Darüber hinaus kann Konfliktsucht auch ein Bewältigungsmechanismus sein, um sich nicht mit eigenen Schwächen auseinanderzusetzen. Wer ständig in Auseinandersetzungen verstrickt ist, lenkt den Fokus auf äußere „Feinde“ und muss sich nicht mit dem eigenen Selbstbild und inneren Schwächen befassen. Konfliktsucht erfüllt also einen Schutzmechanismus: Sie verhindert, dass die betroffene Person sich mit ihren eigenen Unsicherheiten und Verletzlichkeiten konfrontiert. Solche Menschen fühlen sich im Konflikt lebendig und erleben eine Art emotionale Befriedigung, die für sie schwer zu ersetzen ist.
Beraterische Ansätze für den Umgang mit konfliktsüchtigen Klienten
Die Beratung von und mit streitsüchtigen Menschen erfordert Einfühlungsvermögen, Geduld und Struktur. In der Regel suchen diese “die Schuld” oder “das Problem” bei anderen. Vielleicht würden sie sich sogar wünschen, “die da draußen” würden mal anders ticken und gehörten eigentlich auf die “Therapiebank”. So ist es zu Beginn der Beratung wichtig, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, da viele konfliktsüchtige Menschen anfangs skeptisch sind und auch gegenüber Beratern ihre Verteidigungsmechanismen aktivieren. Sie testen die Standhaftigkeit des Beraters und seine Fähigkeit, auf Auseinandersetzungen einzugehen, ohne selbst die Kontrolle zu verlieren. Ein Ansatz ist das Spiegeln des Verhaltens. Der Berater kann dem Klienten aufzeigen, welche Muster er wiederholt und welche Konsequenzen dies für ihn und sein Umfeld hat. Hierbei ist es hilfreich, die „Belohnungen“ zu identifizieren, die der Klient aus seinen Konflikten zieht, und ihm zu verdeutlichen, dass das Verhalten kurzfristige Erleichterung bringen mag, langfristig jedoch isolierend und schädlich ist.
Es ist außerdem wichtig, dem Klienten alternative Bewältigungsstrategien anzubieten, zum Beispiel in einem Rollenspiel oder über eine “Metakommunikation”. Auch das Kennenlernen “eigener Stressmuster” (auf einer Skala von 1-10, wie innerlich gestress fühlen sie sich gerade?) kann helfen, ein Gefühl für das eigene Innenleben zu entwickeln. Ziel kann es sein, den Klienten schrittweise dazu zu bringen, mögliche Konflikte zu antizipieren, um sich selbst und den eigenen Handlungsweisen “auf die Schliche” zu kommen. Was sind “meine Knöpfe”, wo springe ich “gerne drauf”? Auch kleine Erfolge hilfreichen (konflikpräventiven) Vorgehens im realen Leben dürfen und sollen gefeiert werden.
Einsichten und neue Perspektiven für konfliktsüchtige Klienten
Konfliktsüchtigen Klienten können neue Einsichten helfen, ihre Situation besser zu verstehen und alternative Wege zu entwickeln. Eine zentrale Erkenntnis könnte sein, dass der ständige Drang zum Konflikt eine “Ablenkung” von eigener Unsicherheit oder Verletzlichkeit darstellt. Eine weitere Einsicht ist die Anerkennung, dass Konflikte nicht nur Konfrontation, sondern auch Verbindung ermöglichen können. Der Berater kann dem Klienten helfen, zwischen destruktiven und konstruktiven Konflikten zu unterscheiden und zu erkennen, wann ein Streit sinnvoll ist und wann nicht. Zudem profitieren konfliktsüchtige Menschen von der Übung, eigene Gefühle anzuerkennen und sie, verbal und nonverbal, ohne Eskalation auszudrücken. Als Berater*in dürfen wir hier immer im persönlichen Tempo von Klient*innen mitgehen und vor allem “kleine Brötchen backen”.