Eine Therapie kann Leben verändern – manchmal mehr, als man erwartet. Die intensive Nähe zwischen Klient*innen und Therapeut*innen öffnet Türen zu verletzlichen Momenten, tiefen Einsichten und manchmal auch … ungeahnten Gefühlen. Was passiert, wenn Menschen in ihrer Therapie Gefühle von Verliebtheit empfinden? Und wie gehen Professionelle mit ihren eigenen Gefühlen um?
Die therapeutische Beziehung: Wo Nähe unvermeidlich ist
Therapie und Beratung sind geschützte Räume, die auf Vertrauen, Offenheit und intensiver Kommunikation basieren. In dieser einzigartigen Dynamik entstehen emotionale Verbindungen, die tiefer gehen können als in anderen Lebensbereichen. Doch genau diese Nähe birgt eine Gefahr: Menschen können beginnen, ihre Bewunderung oder Dankbarkeit mit romantischen Gefühlen zu verwechseln. Schließlich hören Therapeut*innen zu, zeigen Verständnis und geben das Gefühl, „endlich gesehen zu werden“. Ein Gefühl, dass sie selbst vielleicht lange vermisst und anscheinend endlich gefunden haben. Für viele Klienten sind solche Qualitäten in ihrem Alltag selten – kein Wunder, dass hier Funken sprühen können, oder?
Verliebtheit aus der Sicht von Klient*innen: Zwischen Wunsch und Projektion
Menschen, die sich in der Therapie verlieben, tun dies oft unbewusst. Das Setting wirkt wie ein Spiegel ihrer innersten Wünsche und Sehnsüchte. Therapeut*innen werden zur Projektionsfläche:
- „Er versteht mich wie niemand sonst!“: Ich fühle mich zum ersten Mal wirklich gehört.
- „Sie hat etwas, das ich in meinem Leben vermisse.“: Die Wärme und Geduld der Beraterin können als Zeichen einer tieferen Verbindung missverstanden werden.
- „Vielleicht empfindet er ja auch etwas für mich?“: Solche Hoffnungen können entstehen, wenn Grenzen unklar oder emotional aufgeladen sind.
Psychologisch betrachtet, handelt es sich häufig um Übertragungsphänomene – unbewusste Gefühle aus vielleicht früheren (elterlichen) Beziehungen, die auf die therapeutische Beziehung übertragen werden. Doch für Betroffene fühlt es sich oft sehr real an.
Frühwarnzeichen bei möglicher Verliebtheit und professioneller Umgang damit
Eine beiläufige Berührung, die Aufhebung von körperlicher Distanz, unangemessene Geschenke oder private Fragen: All das können Anzeichen dafür sein, dass jemand mehr als die professionell therapeutische Begleitung sieht. Solche Aspekte können „schmeichelhaft“ sein, sollten jedoch thematisiert werden, wenn sie mehrfach auftreten. „Wie geht es ihnen gerade in der Therapie“? Mir ist aufgefallen, dass…, wie sehen sie das?“ „Ich habe den Eindruck, dass …“
Hier macht, wie bei allen heiklen Themen, der Ton die Musik und wir dürfen darauf achten, dass unsere Beobachtung und Wahrnehmung die wir eingeben, nicht als Zurückweisung der Person aufgenommen wird, sondern als hilfreiches Medium, welches wir in der Therapie thematisieren und dem guten Fortgang der Begleitung dient.
Therapeut*innen unter Druck: Was tun, wenn Gefühle aufkommen?
Was, wenn nicht nur die Klienten Gefühle entwickeln? Auch Therapeuten sind Menschen und nicht immun gegen Sympathie, Anziehung – oder gar Verliebtheit. Ein Lächeln hier, ein Moment der Verbundenheit dort – es kann passieren, dass sich ein Therapeut plötzlich fragt: „Was empfinde ich da eigentlich?“ Doch genau hier liegt der Unterschied zwischen professionellem Handeln und emotionalem Chaos.
Therapeuten stehen vor einer doppelten Herausforderung. Eigene Gefühle reflektieren: Was ist echtes Interesse, und was entsteht durch die therapeutische Nähe? Grenzen wahren: Selbst, wenn Gefühle vorhanden sind, bleibt die Verantwortung für die professionelle Beziehung beim Therapeuten.
Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sollten sein:
- Sind die Gefühle tatsächlich romantischer Natur, oder basieren sie auf der besonderen Nähe in der Therapie?
- Was spricht mich gerade an und worauf reagiere ich?
- Warum gerade jetzt?
- Was stimmt möglicherweise in meiner Beziehung/Partnerschaft nicht oder was vermisse ich besonders, wenn ich gerade keine Partnerschaft habe und mir eine wünsche?
- Wozu brauche ich meine Klient*innen?
Die Situation kann eine große Chance sein, für sich selbst Klarheit zu gewinnen. Im Mittelpunkt muss dabei immer das professionelle Handeln stehen und die Frage, (wie) kann ich Hilfe suchende Menschen gerade kompetent begleiten oder benötigt genau dieser Umstand die Weitergabe an Kolleg*innen? Das Thema Selbsterfahrung (und die Kenntnis eigener Beziehungsmuster) sollte daher eine feste Größe in der Ausbildung angehender Kolleg*innen sein. Besonders problematisch wird es, wenn Therapeuten ihre eigene Machtposition ausnutzen. Solche Fälle schaden nicht nur betroffenen Klient*innen, sondern untergraben auch das Vertrauen in die gesamte therapeutische Zunft.
Was tun, wenn das Herz Sprünge macht – Verliebtheit als Chance?
Doch wie kann man Verliebtheit in der Therapie entschärfen, ohne den Heilungsprozess zu gefährden? Der Schlüssel liegt in Offenheit und Professionalität.
- Für Klienten: Wenn Gefühle aufkommen, hilft es, diese offen anzusprechen. Ein guter Therapeut wird nicht verurteilen, sondern helfen, die Emotionen zu verstehen.
- Für Therapeuten: Eigene Gefühle erkennen und reflektieren ist entscheidend. Selbstreflexion, Ehrlichkeit zu sich selbst und professionelles Handeln (Supervision, Intervision, Mitteilen und ggf. Weitergabe) ist angesagt.
- Psychoedukation: Klient*innen zu Übertragungsphänomenen aufzuklären, kann helfen, die Situation zu entemotionalisieren.
Wenn die Dynamik respektvoll behandelt wird, können selbst „schwierige Gefühle“ wie Verliebtheit Teil des therapeutischen Prozesses sein. Sie bieten die Chance für Ratsuchende, tiefere Einsichten über sich selbst und die eigene Beziehungsgeschichte zu gewinnen.
Zuneigung als Stolperstein oder Chance zu emotionalem Wachstum?
Verliebtheit in der Therapie ist ein Tabuthema. Dabei geht es nicht darum, die Gefühle zu vermeiden, sondern sie richtig einzuordnen. Die Aufgabe von Therapeut*innen besteht darin, offen und professionell damit umzugehen: Wenn sie respektvoll behandelt werden, kann daraus eine große Chance entstehen. Bereits der Umstand, dass solche Gefühle in einer therapeutischen Beziehung auftreten können, wirkt entlastend. Die Erforschung eigener Emotionen kann eine Brücke zur Erforschung unerfüllter Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte sein. Werden diese Aspekte konstruktiv angeleitet, kann dies das Vertrauen in den Prozess stärken und die Therapie oder Beratung noch einmal auf ein ganz neues Qualitätsniveau bringen.
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