Selbstzweifel und das Imposter-Syndrom bei angehenden Therapeut*innen
Therapeut*in wird man nicht von heute auf morgen. Neben intensiver Ausbildung, Lebenserfahrung, persönlicher Entwicklung und Selbsterfahrung gehört auch eine gute Portion innere Stabilität und nicht selten Mut zum persönlichen Mindset. Aber irgendwann ist es soweit und wir wagen uns an die Arbeit mit eigenen Klient*innen bzw. Patient*innen. Wenn da nicht diese „fiesen Begleiter“ wären: Bin ich auch (wirklich) gut genug für diese verantwortungsvolle Arbeit? Diese Selbstzweifel können sich in manchen Fällen bis zum sogenannten „Imposter-Syndrom“ verdichten. Gemeint ist das Gefühl, nicht wirklich kompetent zu sein und eines Tages vielleicht sogar „enttarnt“ zu werden.
Was ist das Imposter-Syndrom?
Hier wird ein „psychologisches Muster“ beschrieben bei dem Menschen trotz nachweisbarer Erfolge und Qualifikationen das Gefühl der „Unzulänglichkeit“ haben. Statt ihre Leistungen als Resultat von Können und Anstrengung zu betrachten, haben sie das Gefühl, einfach nicht gut genug zu sein. Nicht selten schreiben sie ihre Erfolge äußeren Umständen, Glück oder Zufall zu. Typische Gedanken sind:
- „Eigentlich weiß ich viel zu wenig.“
- „Bestimmt sind die anderen viel besser vorbereitet als ich.“
- „Irgendwann merken die, dass ich eigentlich gar nichts kann.“
Besonders angehende Therapeut*innen sind davon betroffen, weil sie in einer doppelten Rolle stehen: Einerseits benötigen sie zur Ausübung ihrer Tätigkeit Fachwissen. Andererseits sind sie selbst ihr wichtigstes Werkzeug in der Arbeit mit Klientinnen. Diese Kombi kann schnell verletzlich und „anfällig“ machen.
Selbstzweifel als Therapeut*in, oft besonders stark ausgeprägt
Es gibt mehrere Gründe, warum gerade in helfenden Berufen Selbstzweifel besonders präsent sind:
- Hohe Verantwortung: Wer therapeutisch arbeitet, ist unmittelbar mit der seelischen Gesundheit anderer Menschen beschäftigt. Schon die Vorstellung, Fehler zu machen, kann erdrückend wirken.
- Vergleich mit anderen: In Ausbildungssituationen vergleichen sich Studierende und Berufseinsteiger oft mit anderen, vielleicht sogar erfahrenen Therapeut*innen. Dabei wird schnell übersehen, dass alle ihre Unsicherheiten haben.
- Perfektionsanspruch: Viele, die sich für einen helfenden bzw. therapeutischen Beruf entscheiden, haben hohe Ideale. Sie wollen alles „richtig“ machen, niemanden enttäuschen und gleichzeitig fachlich brillieren. Dieser Druck verstärkt Selbstzweifel.
Selbstzweifel als Therapeut*in und die Folgen
Selbstzweifel können eine konstruktive Seite haben: Sie zeigen Verantwortungsbewusstsein und regen dazu an, sich immer weiterzuentwickeln bzw. weiterzubilden.. Doch wenn Zweifel überhandnehmen, können sie schnell zu Stolpersteinen werden.
- Innere Blockaden: Wer ständig Angst hat, Fehler zu machen, kann nicht frei und authentisch arbeiten.
- Erschöpfung: Dauerhafte Selbstkritik führt zu innerem Stress und kann langfristig in Überforderung oder Burnout münden.
- Verlust der Freude: Wenn die Arbeit ständig von Angst vor Fehlern dominiert wird, geht der Spaß verloren.
Selbstzweifel, die „innere Kritiker“ nähren
Viele angehende Therapeut*innen kennen die innere Stimme, die ständig bewertet: „Das war nicht gut genug“, „Andere können das besser“, „Du bist nicht geeignet“. Oft sind diese ein Überbleibsel aus früheren Zeiten und überhöhten Leistungsansprüchen aus Schule, Studium oder familiären Erwartungen. Da im Therapieberuf das Thema Selbstreflexion eine nicht unerhebliche Rolle spielt, können diese Stimmen schnell „überhand“ nehmen, bis hin zu Lähmung und Erstarrung.
Von Selbstzweifeln zum Imposter-Syndrom: So schlägst Du dem „inneren Chaos“ ein Schnippchen
Wichtig ist zu wissen: Selbstzweifel entstehen nicht von heute auf morgen. Und genauso verschwinden sie auch nicht von jetzt auf gleich. Doch diese Wege zum konstruktiven Umgang solltest Du kennen:
- Anerkennen, dass Zweifel normal sind: Fast jede angehende Therapeutin und jeder angehende Therapeut macht diese Erfahrungen. Zweifel bedeuten nicht, dass man ungeeignet ist. Im Gegenteil: Es zeugt von persönlicher Reflexionsfähigkeit. Diese darf aber auch Grenzen haben.
- Supervision und Austausch nutzen: Regelmäßige Supervision ist ein zentraler Bestandteil der Ausbildung. Hier kannst Du offen über Unsicherheiten sprechen und bekommst Rückhalt. Auch Gespräche mit Kolleg*innen, zum Beispiel im Rahmen von Intervision, helfen, die eigenen Sorgen einzuordnen.
- Erfolge dokumentieren: Ein „Erfolgstagebuch“ kann helfen, Fortschritte sichtbar zu machen. Hier kannst Du persönliche Erfolge dokumentieren und für Dich sichtbar machen.
- Selbstmitgefühl kultivieren: Was für unsere Patient*innen gut ist, gilt auch für uns: Statt sich ständig zu kritisieren, ist es hilfreich, mit sich selbst so zu sprechen, wie man es mit einer Klientin tun würde: freundlich, ermutigend und geduldig.
- Realistische Erwartungen setzen: Niemand ist perfekt, auch erfahrene Therapeut*innen nicht. Fehler sind unvermeidbar und gehören zum Lernprozess. Entscheidend ist, wie man mit ihnen umgeht und welche Schlüsse Du daraus ziehen kannst, Deine Arbeit immer besser zu machen.
Umgang mit Selbstzweifeln: Anfangen und positive Erfahrungen sammeln.
Viele angehende Therapeut*innen berichten, dass die erste eigenständig geleitete Sitzung ein Schlüsselmoment war. Häufig war die Nervosität groß, die Angst vor Versagen sehr präsent. Doch in diesem Moment zeigt sich meist, dass man mehr kann, als man sich zutraut. Deine Patient*innen spüren Empathie, Aufmerksamkeit und echtes Interesse. Und genau das sind die Kernkompetenzen, die keine Lehrbuchseite in der Praxis vermitteln kann, sondern nur durch das Tun erfahrbar werden.
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