Aus der Beratungspraxis: Erben – Segen oder Fluch?

Erben-Segen-oder-Fluch

Inhalt

Ein Gastartikel von Hans-Joachim Gehrlein,
Heilpraktiker (Psychotherapie) aus Wildflecken

Liebe Leserin, lieber Leser, Sie kennen das bestimmt. Nennt sich „St. Florians-Prinzip“ – das passiert immer nur den Anderen nie mir selbst.

Beim Thema Erben können wir jedoch schnell vom Regen in die Traufe kommen. Solange kein Stress aufkommt, herrscht in vielen Familien meist Friede, Freude und Eierkuchen. Wenn es um Geld und Güter geht, kommen wir jedoch schnell zum (Ver)-Urteilen. Wir wissen genau, wer hat was „verdient“ hat und wer nicht. Hier zeigt sich das wahre Gesicht unserer Beziehungen innerhalb der Familie

Was unter der Oberfläche war, kommt ans Licht – die psychologische Ebene

Jetzt kommen unterdrückte Verletzungen in uns hoch. Nun sind wir pure Emotion, und Sachlichkeit hat Ausgang. Und damit wird der Erbvorgang, der eigentlich ein Segen ist, zum Fluch. Die vergifteten Beziehungen werden sichtbar gemacht und alles „haut“ aufeinander ein. Ich durfte so einen Fall in meiner Praxis ganz nah begleiten und möchte Ihnen helfen zwischen den Zeilen zu lesen, sodass Sie alle – für die meisten von uns ist der Erbfall nur eine Frage der Zeit- den Segen des Erbens erleben dürfen. Unabhängig davon gehört natürlich die Zeit der Trauer mit Schmerz und Leid, wenn uns ein uns nahestehender Mensch verlässt, als Teil unseres Menschseins untrennbar dazu.

Praxisfall: Eine ganz “normale” Familiengeschichte

Mein Klient willigte in die Veröffentlichung seines Beispiels unter der Bedingung, dass Namen und Orte verändert werden, ein. Auch Klaus A. wähnte sich in einer guten Beziehung zu seiner Schwester Gisela – bis zum Erbfall. Seine Mutter verstarb zuerst, und er verzichtete damals auf seinen Erbteil, damit alles zusammen bliebe. Gisela hatte ihn darum gebeten – sie waren sich gleich einig. Also  klappte es doch in seiner Familie, dachte er. Noch konnte er sich darüber freuen, dass es in seiner Familie nicht so war wie bei den anderen. Als sein Vater dann nach einem Schlaganfall verstarb, sollte er auf unangenehme Weise überrascht werden. Seine Frau und er waren zur Beerdigung nach Bonn gekommen. Irgendwann kam es dann zur Gretchenfrage: „Gibt es ein Testament?“ Mit einem Mal hielt ihm Gisela ein Testament entgegen. Aufgrund des Datums war schnell zu erkennen, dass sie es schon lange Zeit besaß, es aber verheimlicht hatte. Ur-Ton seiner Schwester: „Der Vater hat Dich enterbt. Ich und meine Familie bekommen alles.“ Dazu die Körperhaltung seiner Schwester. Sie hielt das Testament wie einen Pokal und strahlte Überlegenheit, ja Genugtuung aus. Er war bis ins Mark erschüttert, fühlte sich hintergangen, da er schon früh seiner Schwester gesagt hatte – wenn es ums Erben geht, sollte ihre Familie den größeren Anteil bekommen, denn ihm ging es beruflich deutlich besser als ihr.

Hintergründe aus dem Praxisfall

Ja, sie hatten es beide nicht leicht mit diesem Vater. Er hatte ihnen zwar das Leben geschenkt, nur waren sie ihm nie willkommen gewesen. Denn er sah sich, durch die Geburt der Kinder, zur Heirat gezwungen und fühlte sich damit seiner „Freiheit“ beraubt. Dies hatte er Klaus als Kind, als er fünf oder sechs Jahre alt war, auch ganz deutlich in einer Art gesagt, die ich hier nicht zitieren möchte. Klaus ist deshalb als junger Mann von zu Hause weg gegangen und wollte nichts mehr mit seinem Vater zu tun haben, da er überzeugt war, ihn als Vater nicht zu brauchen. Was natürlich so nicht stimmt. Der Lebensweg von Gisela verlief weniger rund als der von Klaus. Oft hatte sie Stress mit Männern, Auszüge aus Wohngemeinschaften oder das Geld war knapp. Wie gut, das es da den großen Bruder gab. Hier wurde ihr geholfen. Vielleicht können Sie sich nun vorstellen, warum er so überrascht war. Er war fest davon überzeugt eine gute Beziehung zu Gisela zu haben. Diese Annahme entsprach seiner Wahrnehmung, jedoch nicht der Wahrheit. Nachdem er im ersten Moment, der mindestens 14 Tage andauerte, aufgrund seiner Enttäuschung gar nichts haben wollte, entschied er sich dann doch für den (nicht gegönnten) Pflichtteil.

Die psychische Dynamik im Praxisfall

Heute weiß ich, dass nur verletzte Menschen andere Menschen verletzen. Natürlich soll dies keine Rechtfertigung oder ein Freibrief sein, andere zu verletzen, aber vielleicht verstehen wir dann den anderen besser, bzw. können anders mit ihm oder ihr umgehen. In diesem Sinne half ich Klaus das Beziehungsgeflecht seiner Familie anzuschauen. Die Beziehung zwischen Klaus und seiner Mutter war natürlich phantastisch. Sie hat alles für ihn getan. Aber wen wundert das, da sein Vater auch grob zu ihr war, machte sie ihn – heute weiß er das – zu ihrem Partner. Sie war immer für ihn da, hat viel zu viel für ihn getan. Ja, Mutterliebe ist so süß und warm, aber Vorsicht die Grenze zur Entmündigung ist schnell überschritten und das tut keinem jungen Mann, so auch Klaus, nicht gut! Jetzt konnte Klaus auch verstehen, warum er seinem Vater nichts recht machen konnte. Die Liebe der Mutter – auch sie hat jemanden gesucht dem sie ihre LIEBE schenken kann und wo sie das Gefühl bekommt geliebt/anerkannt zu werden – hat die Eifersucht des Vaters zur Folge gehabt. So wurde er vom ungeliebten Sohn zum gehassten Rivalen. Seine Schwester hat sich, das weiß er heute, ihr ganzes Leben weniger geliebt gefühlt und ihn als den Begünstigten erlebt. Hierdurch hat er ihr Verhalten beim Erbfall erst
verstanden.

Praxisfall Auflösung: Raus aus der Opferrolle

Mittlerweile hat Klaus mit großen Teilen seiner Vergangenheit Frieden geschlossen. Er sieht sich nicht mehr als Opfer, sondern nimmt die Erfahrungen seines Lebens immer mehr an und hat verziehen, sich und den anderen. Leider leben die meisten von uns, so haben Klaus und ich es auch den größten Teil unseres Lebens getan, in der Projektion. Wir nehmen das was wir in uns bekämpfen, bzw. in uns nicht anschauen wollen, nicht in uns wahr, sondern übertragen es auf andere und bekämpfen es dort. Schön, lenkt ab, aber hilft wenig. Person kommt von Persona – Maske. Wir tragen alle Masken, weil wir nicht wollen, dass andere sehen wie es uns wirklich geht. Ja, niemand hat uns beigebracht unsere Gefühle anzuschauen, sie zuzulassen, als unsere eigenen zu identifizieren und sie dann noch auszusprechen. Wenn ich zum Beispiel feststelle, dass ich wütend bin – dann ist die Wut in mir. Ein momentanes Ereignis triggert meine Wut, sie zeigt sich jetzt, aber wie ist sie da hinein gekommen? Gehe ich es so an, könnte ich zu einer Lösung kommen.

Also was machen wir nun im Erbfall, der ja nur eine Frage der Zeit ist, für viele da draußen? Mögliche Auflösung des Praxisfalls.

Nun, die Kriminalpolizei rät vorbeugen. Ich erinnere mich an einen Werbespot zum Thema. Eine Oma mit Handtasche auf dem Gehsteig. Von hinten kommt der Dieb auf Inlinern und will ihr die Handtasche entwenden. In dem Moment beugt sich die Oma vor und den Dieb haut es sowas von auf die Schnauze. Ich garantiere Ihnen, wenn Sie sich dies einmal vorgestellt haben, dann ist das Wort vorbeugen fest in Ihnen abgespeichert. Nun, sind sie bereit vorzubeugen? Stellen sie sich doch einfach folgende Fragen: Wie geht es mir eigentlich wirklich? Wie sind die Interaktionen in der Familie? Gehen wir/ich mit mir selbst, liebevoll miteinander um? Bitte verwechseln Sie nicht liebevoll und harmonisch. Harmonisch heißt oft, dass die/der eine/einer nicht seinen Teil lebt, nur um
Harmonie zu erfahren. Das hat mit liebevoll nichts zu tun. Trauen sie sich über das zu sprechen was sie bewegt, ohne den anderen gleich anzugreifen. Zum Beispiel: „Ich habe das Gefühl, dass Mutter immer mehr für Dich als für mich da war.“ statt, meistens noch mit Wut: „Ja, ja für Dich hatte Mutter immer Zeit!“ Eltern sind grundsätzlich keine „Monster“. Sie wiederholen nur das, was sie selbst in ihrer Kindheit gelernt haben, bzw. wollen eigene ungute Erfahrungen durch entgegengesetztes Handeln kompensieren. Trotzdem kommt dabei oft nicht das heraus, was wir uns als Kinder wünschen, bzw. brauchten.

Das Erbe “zurückgeben”: Die psychische Dynamik kann “zu Frieden” kommen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dies gerade im Anfang nicht immer leicht ist. Auch ich hatte einen Helfer, der mir den Weg aus meiner Wut gewiesen hat. Gehen musste ich diesen Weg dann selbst – so wie Sie dies auch tun müssen. Hier sehe ich die Chance. Beugen Sie vor, suchen sie sich, falls notwendig einen Helfer, z.B. einen Heilpraktiker Psychotherapie Ihres Vertrauens, der Ihnen hilft, sich im Dschungel ihrer Gefühle zurecht zu finden. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung bestätigen, wie sehr wir an Lebensfähigkeit/Lebensfreude gewinnen, wenn wir das, was Eltern uns in der Kindheit vererbt haben, erstmal „zurückgegeben haben“. Dann kann kommen was will, mitunter auch der Erbfall, es wird alles viel entspannter geschehen, versprochen!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr
Hans-Joachim Gehrlein
Heilpraktiker Psychotherapie

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